Kommentar zur aktuellen Debatte „Digitalisierung in der Gesundheitswirtschaft

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Der Staat und auch die Länder geben viel Geld aus um die Digitalisierung im Gesundheitswesen technologisch zu fördern und den Wettbewerb zu forcieren. Ist das wirklich langfristig so zielführend?

Im Mai habe ich zwei Veranstaltungen besucht, die die Digitalisierung im Gesundheitswesen zum Thema hatten. Zum einen die nationale Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft in Rostock am 23./24. Mai (http://www.konferenz-gesundheitswirtschaft.de) mit dem Thema „Mensch und Markt in der Digitalen GesundheitsWelt“ und zum zweiten am 30.Mai die vom Wirtschaftsministerium durchgeführte Start-up Night Gesundheitswirtschaft in Berlin wo 12 Unternehmen ihre digitalen Lösungen vorstellten.

Partnerland auf der Branchenkonferenz in Rostock war in diesem Jahr Estland. Das Land, welches am konsequentesten eine digitale Strategie in allen gesellschaftlichen Bereichen verfolgt und gern als Musterbeispiel benutzt wird. Ich war also gespannt. Da das Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen auch im Vorjahr Schwerpunkt war, hegte ich natürlich besondere Erwartungen.

In den Diskussionen wurden wieder viele kluge Gedanken geäußert - der Patient muss im Mittelpunkt stehen, man muss gemeinsam agieren, alles muss interoperabel sein und vieles, vieles mehr. Nur leider war für mich im Vergleich zum letzten Jahr keinerlei Entwicklung zu erkennen. Gern zeigte man gegenseitig mit dem Finger weiterhin auf den Anderen – mit dem Hinweis, was dieser doch tun sollte.

Bei manchen Diskussionsbeiträgen auf der Branchenkonferenz hatte ich das Gefühl, dass man nicht merken will, dass die Zeit nicht stehen bleibt, man nicht akzeptieren will, dass im Zeitalter der Digitalisierung alles doch ein bisschen schneller gehen sollte. Estland hat mit der Umsetzung der digitalen Patientenakte 2008 begonnen und die Bürger von Anfang an in den Prozess integriert.

Es bringt wenig, heute noch endlos darüber zu debattieren, ob ein/e 70 Jährige/r mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen umgehen kann und welche umfangreichen Ressourcen man zur Erlangung von Medienkompetenz braucht, statt endlich loszugehen. Wir werden selbst schneller 70 sein, als es uns lieb ist und ich möchte dann nicht darüber diskutieren, ob ich das kann, sondern die Angebote und die Chancen der Digitalisierung nutzen.

Warum redet man in Deutschland so viel davon, den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen, schenkt ihm aber gleichzeitig so wenig Vertrauen und schwingt genüsslich die Datenschutzkeule?
Diese Frage sollte jeder Player im Gesundheitssystem ehrlich beantworten. Natürlich geht es um Geld, Macht und Marktpositionen. Das wird auf so einem Branchentreffen aber nur selten erwähnt.
Heute gibt jeder Patient einen großen Teil seiner Arbeitsleistung als Entgelt für die Krankenversicherung ab und erwartet eine Vollversorgung. So kennt er es. Aktuell wird ihm ein großer Teil der Verantwortung für seine Gesundheit in einem wenig transparenten System abgenommen. Vom harten Verteilungskampf um das Geld aus dem Gesundheitstopf bekommt er wenig mit.

Natürlich wird durch die Digitalisierung vieles transparenter, der Patient wissender, mündiger, anspruchsvoller. Auch die Verteilung der Mittel unter den Leistungsanbietern wird sich verändern. Das dies nicht freiwillig von den Anbietern akzeptiert wird, ist nachvollziehbar. Auch an einer zentralen Patientenakte wird man, wenn man die Gesamtheit der Vorteile der Digitalisierung nutzen möchte, nicht vorbeikommen.

In Estland hat der Staat die Verantwortung mit der Bereitstellung der digitalen Patientenakte übernommen. Er hat die Erbringer der Gesundheitsdienstleistungen verpflichtet, diese zu nutzen, um dadurch auch dem Verteilungskampf in der Gesundheitswirtschaft einen Rahmen zu geben. Offensichtlich können alle Beteiligten damit leben. Dieser entscheidende Unterschied wurde auf der Branchenkonferenz zwar gehört, aber – wie ich finde - nicht aufgenommen.

Unser Gesundheitssystem steht sich selbst im Weg und verschwendet eine Unmenge an Ressourcen. Jeder größere Player entwickelt eine eigene Patientenakte und erst einmal auf sein Geschäftsmodell zugeschnittene Angebote.
Ich wünsche mir von den politisch Handelnden mehr Mut und Weitsicht bei den Entscheidungen, wie unser sehr gutes Gesundheitssystem in der Zukunft gestaltet wird.

Das aktuelle Wahlkampfgeplänkel zwischen dem Wirtschafts- (SPD) und Gesundheitsministerium (CDU) http://www.tagesspiegel.de/politik/streit-um-digitalisierung-im-gesundheitswesen-zypries-faehrt-groehe-in-die-parade/19875844.html stimmt mich da leider auch nicht sonderlich optimistisch, da ich auch hier das Gefühl habe es wird nicht wirklich ehrlich zusammenarbeitet und Verantwortung für die Zukunft übernommen. Bei der von mir am 30.Mai besuchten Start-up Night der Gesundheitswirtschaft habe ich mich gefragt, warum diese nicht als eine gemeinsame Initiative von beiden Ministerien getragen wurde. Noch geben wir viel Geld dafür aus, Lösungen zu finden, um doch alles so zu lassen. Wir leben noch von unserem bisher erarbeiteten Überschuss. Wenn der verbraucht ist, wird eine Umgestaltung des Gesundheitswesens schmerzhafter.

Auch 2030 wird man noch Gründe finden, warum etwas nicht geht und wir werden trefflich debattieren, wer was machen sollte.
Ich halte es lieber mit Goethe und seinen drei Buchstaben für den Erfolg - TUN statt labern
Thomas Menzel